UNDERDOG FANZINE » Kolumnen Polit-Punk-Fanzine Sun, 02 Feb 2014 11:41:16 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.7.1 Abschaffung der Jagd /abschaffung-der-jagd/ /abschaffung-der-jagd/#comments Wed, 26 Jun 2013 14:57:38 +0000 /?p=5145 Abschaffung der Jagd
-oder der seltsame Tod von Herrn Bahrs
(ein leicht überarbeiteter Artikel aus UNDERDOG #4)

Hirschbrunft

Noch lacht der Jäger

“Im Wald, da sind die Räuber” heißt es in einem bekannten Kinderlied. Im Wald unterwegs sind aber auch Natur- und Wanderfreunde, Familien mit Kind und Kegel, Fahrradtouristen mit Picknickkörben, die allesamt im grünen Wohnzimmer Erholung suchen. Dann aber gibt es eine Spezies, die mit grünen Jacken, festem Schuhwerk, Knickerbocker und Kniestrümpfen und komisch geschmückten Hüten (meist mit einer Fasanenfeder bestückt) bekleidet – zumeist Sonntag Vormittag (denn um 12 Uhr gibt es Mittag bei Muddi, und die droht mit dem Nudelholz, sollte mann sich verspäten) – im Dickicht umherschleichen. Zusätzlich ausgestattet mit Feldstecher, Flinte und Feldflasche tritt diese Sorte Mensch oftmals im Rudel auf: Der deutsche Jäger!

Am Sonntag ist der Wald touristenfrei. Dann wird der Wald zum Jagdrevier. Wer einmal dem Konzert der Vögel beiwohnen, dem Brunftschrei des Keilers miterleben und das Gebärden einer kackenden Kuh mitansehen durfte, wird erstaunt sein, wenn urplötzlich das fremd-klingende blecherne unmusikalische Geräusch aus dem Jagdhorn erklingt, was der ahnungslose Wald- und Wiesenläufer vernimmt, wenn die Jäger zur Treibjagd anblasen. Die Ruhe im Wald ist vorerst vorbei. Die Treibjagd beginnt. Der männliche Jagdinstinkt ist geweckt. Der Puls rast, das Herz schlagt schneller. Um die Nerven zu beruhigen und den Kreislauf zu stabilisieren, hilft oft nur noch ein hochprozentiger Schluck aus der Feldflasche. Nicht selten erschüttern uns Naturfreunde Kunde von seltsam anmutenden dubiosen Jagdunfallereignisse aus dem Lokalteil der Feld- und Wiesenpost, die in etwa so lauten könnten: „War es ein Anschlag linker Jagdgegner oder war es ein heimtückischer Unfall, der sich letzten Sonntag Vormittag im Wald zugetragen hatte? Tatsache ist, dass sich aus dem Drilling von Herrn Bahrs ein Schuss löste, als er versuchte die Flinte zu entsichern. Dieser traf ihn direkt zwischen die Augen.”
Jagdschicksale wie mensch und Jäger sie in letzter Zeit immer häufiger zu lesen bekommen. Und das auf nüchternen Magen. Dennoch ist der Jäger in diesem Fall sehr gut vorbereitet. Schließlich weiß der interessierte Jagdfreund, dass die Jägerschaft für ihre Treue und Kameradschaft bis über den Tod hinaus bekannt ist. So wird gleich an Ort und Stelle Abschied vom Jagdkollegen genommen. Zwischen Hundekacke und Vogelgezwitscher, zwischen Hallali und Täterätä hält der Jagdfreund seine Abschiedsrede:
Liebe Waldgenossen! Dem Schicksal…oder man kann fast sagen, dem Schöpfer, hat es gefallen, plötzlich und unerwartet, einen Gast aus unserer Mitte zu sich in die ewigen Jagdgründe abzuberufen. Unsere Gedanken begleiten ihn jetzt auf seine letzte Fahrt: Ins gerichtsmedizinische Institut. Bevor wir das Treiben für heute abbrechen, halten wir noch einen Moment inne, angesichts der Majestät des Todes und erinnern uns an ein Gedicht von Rudolf G. Binding: ‘Alles stirbt! Auch die Freunde sterben. Sorge! Nicht um sein Grab. Erde bedeck‘ es, Wind bedeck’ es. Sonne beschein’ es. Regen bewein’ es. Waidmannsheil!“
Und Waidmannsdank für diesen Volltreffer möchte die/der Naturfreund_in ausrufen. ‘Was war der Kollege doch ein Vollidiot’, möge der Jagdfreund insgeheim denken, während die Saboteure und Befreier_innen weiter fleißig an den Hochsitzen sägen. Sicherlich ist der werten Leser_innenschaft folgende Situation schon einmal bei einem Spaziergang im Wald widerfahren. Vorausgesetzt, sie und er ist Hundebesitzer_in. Der Wald- und Wiesenförster spricht dich an, dass der Hund gefälligst an die Leine zu führen ist. Es ist Schonzeit. Dabei schaut er dich so eindringlich an, als ob die Schonzeit für dich abgelaufen wäre. Doch wer wird denn gleich die Flinte ins Korn werfen?!
Ein anderes Problem beschäftigt derweil die Jägerkollegen des verstorbenen Herrn Bahrs. Wie können sie den hinterhältigen Selbstmord in der Öffentlichkeit vertuschen und überlegen: War er ein guter Jäger? Nein! Aber er traf an jenem schicksalhaften Tag das erste Mal ins Schwarze: Ein Blattschuss vor dem Herrn.
Und eine Schande für die Jagdgesellschaft. So wird er post mortem von dem „Deutschen Jagdschutzverband” ausgeschlossen. Ja, es wäre mitunter besser für Herrn Bahrs gewesen, hätte er sich an Hermann Löns ein Beispiel genommen. Als Hermann Löns seinerzeit den Tod sucht, meldete er sich mit 48 Jahren an die Front, wo er anständig gefallen ist, wie sich das für einen aufrechten Mann und pflichtbewussten Deutschen gehört.
Selbst wenn Herr Bahrs von seinen Jagdkollegen als “unzurechnungsfähig” und “Alkoholiker” beschrieben wird, der seine Frau nur selten verprügelte, ist er auf der Beerdigungsfeier ein Held und wird von seinen treuen Ex-Gefährten wenigstens noch anständig totgetrunken.
Welche Konsequenzen hat der tragische Jagdunfall für die Nachwelt? Sollen die Jäger unter Aufsicht am Schießstand ihre Qualitäten unter Beweis stellen? Wer schlecht schießt und mit seinen „Prügel” nicht umzugehen weiß, muss den Jagdschein abgeben? Letztendlich bleibt aber die Erkenntnis: Der Mensch ist von Natur aus ein Jäger! So waren es schon die Neandertaler. Während der Mann mit der Keule auf die Jagd ging, saß die Frau in der Höhle und wartete auf Mann und Beute. Sie hatte die Arbeit. Der Mann den “Spaß” (am Töten). Es gibt heutzutage aber eine Alternative. Denn der deutsche Neandertaler und Jäger ist zudem  Sammler. So könnte er sich ein Hobby suchen und anfangen, Briefmarken mit Tiermotiven zu sammeln und die Flinte im Schrank zu lassen. Somit wäre der Wald wieder die verdiente Ruhezone für die frei und wildlebenden Tiere. Und der Mensch betritt das grüne Wohnzimmer mit dem gebührenden Respekt vor den heimischen Lebewesen als Gast und Freund.  Demgegenüber besteht immer noch vielerorts die Ansicht, dass es in Deutschland eher zu viel Wildtiere gibt und glauben, die Jäger hätten das Recht, ein “Gleichgewicht” herzustellen. Denn der Jäger von Heute ist auch ein Naturschützer, und das bedeutet in erster Linie harte Knochenarbeit. So bleibt der Wald, das grüne Wohnzimmer, das Revier des Jägers, welches er fortan bis an die Zähne bewaffnet und ihn vehement gegen alle Eindringlinge verteidigt. Schließlich verursachen die Radfahrer und Spaziergänger, das ganze linksradikale “grüne” Pack eben, den Lärm im Wald und stören, wo doch allgemein bekannt sein müsste, dass der Jäger im Wald Ruhe und Konzentration beim Schießen benötigt. Ja, der schlimmste Feind des Jägers ist der Mensch!
Der deutsche Jäger ist aber vor allem auch ein sensibles menschliches Wesen mit unterschiedlichen Charaktereigenschaften: So gibt es zum Einen den

  • impotenten Jäger, der zu Hause von seiner Frau unterdrückt und ausgelacht wird. Die einzige Größe, die auf seine Manneskraft hinweisen könnte, sind die Geweihe, die in jedem Zimmer und an der Hauswand zur Schau gestellt werden. Und während sich die Frau einen Liebhaber sucht, schleicht er Tag und Nacht im Wald umher und ballert mit seinem Prügel und Schwanzersatz auf alles, was sich bewegt, um seine Befriedigung zu stillen. Oder er geht ins Bordell, wo er sich als Hirsch verkleidet über die jungen Ricken hermacht.

Zum Anderen gibt es den

  • moralischen Jäger, dem beim Pirschen im Wald das Jagdfieber (Schüttelfrost, Schweißausbrüche, Herzrasen, Augenflimmern) packt. Er hat ein relativ kleines Gehalt und die größten Skrupel, lehnt es bspw. aus ethisch-moralischen Gründen ab, Hirsche aus den Ostgebieten zu jagen. Schließlich sind die Ostblockhirsche reine Kunstprodukte. Zuchttiere in Spezialbetrieben mit Spezialfutter und Dopingmittel hochgepäppelt, um im Anschluss für harte Devisen abgeschossen zu werden. So schießt er lieber auf das unschuldige deutsche Rehlein, welches ihm direkt in die Augen blickt, wenn der tödliche Schuss fällt. Geplagt von Gewissensbissen, erhängt er sich noch an der Unglücksstelle im Wald an einer deutschen Eiche.

Des Weiteren gibt es den

  • anständigen, ehrlichen und philosophischen Jäger, der bei seinen Eltern zu Hause wohnt und nicht verheiratet ist. Er verfügt über eine außerordentliche Sammlung von Zielscheiben mit Frauenmotiven. Darüber hinaus verfügt er über eine weitere Sammlung, vielleicht die größte seiner Art, die er nicht gleich jeder jungen Ricke beim ersten Rendezvous zeigt: Die Losung europäischer und afrikanischer Tiere. Geweihe, Gehörne und die anderen Knochen sind Symbole des Todes. Aber die Losung als Produkt der Verdauung, ist ein Symbol des Lebens. „Und das ist unsere Zukunft. Nicht das Töten soll der Sinn des Jagens sein, sondern das Leben.” So sammelt er die Scheiße von den Keilern, Dachsen, Füchsen, Elefanten…,  katalogisiert und beschriftet sie in transparenten Plastikbeuteln und bewahrt sie im Kühlschrank auf.

Abschließend ein Blick in die grausame Realität des Jägerlateins. Der Jäger schützt sich vor sich selbst. Oder warum begegnen wir jene Schilder im Wald, die uns warnen sollen vor dem Betreten der Flora und Fauna:

  • Vorsicht Wildschutzgebiet!
    Warnung! Kreuzottern! Lebensgefahr!
    Ruhezone! Kein Durchgang!
    Vorsicht! Tollwutimpfgebiet!

Der Jäger riegelt den Wald ab. Er hat ein gutes Gewissen, kann letztendlich aber nichts damit anfangen. Denn der Wald bleibt für den Jäger gefährlicher als für das Wild!
Das hätte Herr Bahrs wissen müssen!

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Anything goes if it sells /anything-goes-if-it-sells/ /anything-goes-if-it-sells/#comments Sun, 24 Jun 2012 13:31:34 +0000 /?p=2160 Nieder mit der Springer Presse, schlagt ihnen ihre Lügen in die Fresse“…
forderten in drastischer Weise die Hamburger Punkband RAZZIA in ihrem Song “GG Art. 5 “. Insbesondere die auflagenstärkste zeitungsähnliche Publikation, die BILD, wird seit Jahrzehnten vor allem wegen der fehlerhaften, einseitigen, schlecht recherchierten Artikeln mit nachweislich falschen Informationen und abgeänderten Zitaten kritisiert. Nun feiert sich die BILD zum 60jährigen Bestehen und hat im Juni ein Gratisexemplar an alle deutsche Haushalte verschickt. Wir wollen als meinungsfreiheitliebendes Organ daran erinnern wieso das Medium zur Kampagnenführung (also: Manipulation der Massen) eine Gefahr darstellt.
Noch immer ist “Bild” in Deutschland die Tageszeitung mit der größten Auflage, sie wird von anderen Medien am häufigsten zitiert, und sie bestimmt die Gespräche vieler Menschen. “BILD dir deine Meinung” als medienwirksame Kampagne klingt da schon zynisch in Anbetracht der Tatsache, dass BILD einen großen Einfluss auf die Meinung nimmt, den LeserInnen die Verantwortung einer kritischen Reflexion abnimmt und formt die öffentliche Meinung mit manipulierten Inhalten. Eine Zeitung, die schon für ihre LeserInnen mitdenkt, wird dann gefährlich, wenn sie durch Botschaften zu Gewalt aufruft und Handlungen manipuliert wie am Beispiel der Berichterstattung der 68er Studentenunruhen in Berlin. Durch massive Kampagnen wurden gezielt Aggressionen gegen Anführer der Studentenproteste geschürt. Diese Hetzschriften gipfelten im Anschlag auf Dutschke 1968 durch Josef Bachmann. Bachmann gilt dabei als das Beispiel der durch Presse manipulierten Menschen. Als BILD über den Mord an Benno Ohnesorg am 3. Juni 1967 berichtet, ruft sie sogar zur Unterstützung der Polizei zur Ausschaltung der “Krawallradikalen” auf: “Die Polizei trägt keine Schuld an den Zusammenstößen, die eindeutig von unseren Krawallradikalen provoziert wurden. Die Polizei tat ihre schwere Pflicht(…)Helft der Polizei, die Störer zu finden und auszuschalten.”
Auf der Höhe der Macht werden Kampagnen gemacht und geschrieben, um die Manipulation systematisch zu steuern und bei der Entscheidungsbildung mitzuwirken.Dafür werden auch gerne Lobbyisten ins Boot geholt. Die Versicherungskonzerne, die Finanzdienstleister und die Banken haben sich in den neunziger Jahren ausgerechnet: Wenn es ihnen gelingt, auch nur 10 % der bisherigen Rentenversicherungsbeiträge von der staatlichen gesetzlichen Rente auf die Privatvorsorge, also auf Lebensversicherungen und andere Sparformen umzuleiten, dann erreichen sie einen Umsatzzuwachs von ungefähr 15 Milliarden €. Das ist hoch attraktiv und versprach riesige Gewinne. Also haben sie sich eine Kampagne mit einer doppelten Botschaft ausgedacht: Die gesetzliche Rente reicht nicht mehr, jetzt hilft nur noch Privatvorsorge. Es folgten dann unentwegt Serien in der Bild-Zeitung und in nahezu allen anderen Medien. Die Bild-Zeitung hat mit der Allianz Versicherungs AG direkt zusammengearbeitet. Redaktionelle Beiträge wurden reihenweise von der Lobby der Versicherungswirtschaft geschrieben und bebildert. Das Vertrauen in die gesetzliche Rente wurde durch Propaganda systematisch zerstört.
Um das wieder herzustellen, hat BILD eine Kampagne von Als­ter Wer­be­agen­tur GmbH mit Promis gestartet, die “ihre of­fe­ne, ehrliche und ungeschönte Meinung zur BILD mit­­tei­len”. WIR SIND HELDEN wurden auch gefragt, haben abgelehnt und machen Anschreiben und Ablehnung öffentlich. Sängerin Ju­dith Ho­lo­fer­nes stellt fest, dass “die BILD -​Zeitung kein augenzwinkernd zu betrachtendes Trash -​Kul­tur­gut und kein harm­lo­ses “Guil­ty Plea­su­refür wohl­fri­sier­te Auf­stre­ber” ist, sondern “ein gefährliches po­li­ti­sches In­stru­ment – nicht nur ein stark ver­grö­ßern­des Fern­rohr in den Ab­grund, son­dern ein bösarti­ges Wesen, das Deutsch­land nicht beschreibt, sondern macht. Mit einer Agen­da.”
Und die Agenda zielt ab gegen Migranten, HARTZ IV-Empfänger und alles, was eine reißerische Wirkung erzielt. Macht macht geil. Unheimlich! So sieht es auch Günter Wallraff heute, der 1970 getarnt als Hans Esser die Methoden von BILD aufdeckte: “Das Unheimliche ist heute, dass sich so viele dem Blatt unterwerfen oder anbiedern.” Und Wirkung gegen BILD erziele man nur mit öffentlichen Gegenkampagnen, die die BILD-Methoden aufdecken und entlarven, denn “auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil”.
Wer übrigens keinen Einspruch über eine Zustellung der kostenlos verteilten BILD-Zeitung eingelegt hatte (u.a bei http://blog.campact.de), bekam die Möglichkeit, diese Druckvorlage anzubringen:

Klar, BILD feiert trotzdem. Chefredakteur Kai Diekmann schaut zurück und philosophiert: „Das Land hat sich verändert“. Und der muss es ja wissen, denn schließlich ist er dafür mit verantwortlich.

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Die Spurenlese nach Männlichkeitssymbolen in der Musik /die-spurenlese-nach-mannlichkeitssymbolen-in-der-musik/ /die-spurenlese-nach-mannlichkeitssymbolen-in-der-musik/#comments Sun, 06 Nov 2011 09:28:13 +0000 /?p=796 Homophobie in Bewegung

Punk/HC sind nicht nur Musikstile, sondern auch Medien kultureller Artikulation. Als wichtiges Element dieser Selbstpositionierung dient die Konstruktion einer Geschlechtsidentität, die spezifisch für die betreffende Subkultur ist.
Die Spurenlese nach Männlichkeitssymbolen in der Musik ist gebunden an die Geschichte von Männlichkeitsstereotypen. Die These, dass Männlichkeit, nicht anders als Weiblichkeit, ein Kunstprodukt sei, ein kunstvollkünstlich erzeugtes Gewebe von Vorstellungen, Bildern und Zuschreibungen, hat neue Forschungsperspektiven eröffnet. Wie verläuft jener Konstruktionsprozess, wer ist daran beteiligt und interessiert? Gibt es konkurrierende Bilder, und auf welche Weise werden sie an den Mann gebracht? Verändern sich Zuschreibungen, und wenn ja, warum?
Diese Fragen stehen auch im Mittelpunkt des Buches von George L. Mosse (“Das Bild des Mannes-Zur Konstruktion der modernen Männlichkeit” aus dem Amerikanischen von Tatjana Kruse S. Fischer, Frankfurt/M. 1997)
Der amerikanische Historiker deutsch-jüdischer Herkunft unternimmt darin einen Streifzug durch zwei Jahrhunderte vornehmlich deutscher Geschichte. Vom späten 18. Jahrhundert bis in unsere unmittelbare Gegenwart hinein sucht er nach dem “Bild des Mannes”, nach dem “männlichen Ideal”, dem “maskulinen Stereotyp”. Er untersucht den Prozess der Normsetzung im Zeitalter Lavaters und Winckelmanns, er verfolgt den Siegeszug der “modernen Männlichkeit” in Turnvereinen, Schulen und Militär, er arbeitet die Gegenbilder und Anti-Typen heraus.
Frauen, Juden, Homosexuelle, Zigeuner – gegen diese Außenseiter der bürgerlichen Gesellschaft wurde das normative Bild moderner Männlichkeit konstruiert und popularisiert. Wie machtvoll und durchsetzungsfähig es war, zeigte sich nicht zuletzt daran, dass selbst jene Gruppen und Bewegungen, die sich davon zu distanzieren suchten, ihm immer wieder aufsaßen. Auch Homosexuelle und Sozialisten, so Mosse, konnten sich der “Strahlkraft” des Stereotyps nicht entziehen auch die Arbeiterbewegung huldigte dem Kult starker, disziplinierter, mutiger Männlichkeit.
Üblicherweise lassen sich diese Stereotype verdinglicht bzw. konkretisiert in Texten oder Bildern entdecken. Die meisten Beispiele zu musikalischen Männlichkeitssymbolen sind textgebundener Musik entnommen, und ihre Deutung ist primär text- und nicht musikbezogen. Das ist kein Zufall. Denn bei Musik handelt es sich, im Gegensatz zu Bildern und Sprache, um ein nicht-diskursives Kommunikationsmedium. Musik mit ihren Tönen, Klängen, Geräuschen, Harmonien und Rhythmen ist erst einmal und vor allem eins: geschlechtsneutral.
Punk hat die Popkultur sexualisiert (S/M-Mode, Malcolm McLarens „Sex“-Shop, Bandnamen wie The Sex Pistols, The Vibrators, The Slits etc.) und war doch gleichzeitig asexuell, richtete sich gegen das Diktat von Schönheit im Pop und gegen die ewig gleichen (heterosexuellen) Liebeslieder. Schon früh haben Musikerinnen im Punk weibliche Klischees in der Gesellschaft aufgedeckt (The Slits, X-Ray Spex), queere Ästhetik hat vor allem in der ersten Punk-Generation eine wichtige Rolle gespielt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (z.B. The Dicks) bestand jedoch bereits die zweite Generation – Oi!-Punk in Großbritannien, Hardcore in den USA – aus männerbündlerischen Szenen. Aktive Musikerinnen finden sich hier kaum, manche Bands (z.B. die Bad Brains) waren extrem schwulenfeindlich. Erst im Zuge der Riot Grrrl-Bewegung Anfang der 1990er-Jahre kehrten verstärkt feministische und schließlich auch queere Elemente im Punk zurück. Der Vortrag zeichnet anhand der historischen Entwicklung von drei Jahrzehnten Punk nach, wo sich im Punk gewinnbringende queere Ansätze finden und wo Punk in tradierte Geschlechterrollen zurückgefallen ist. Erstaunlich genug, dass eine Bewegung, deren Name auf eine Bezeichnung für Schwule im Gefängnis zurückgeht, auch homophobe Tendenzen hat ausbilden können!
Gleichgeschlechtliche Liebe und Liebende werden trotz reformierter Gesetze im Alltag diskriminiert, bedroht und sogar umgebracht, wenn sie sichtbar und nicht im Geheimen gezeigt wird.
Allein die Sichtbarkeit von Schwulen oder Lesben in der Öffentlichkeit erleben viele Menschen nach wie vor als „Provokation“.
Je sichtbarer und selbstverständlicher queeres Leben im Alltag wird, desto eher schaffen wir einen öffentlichen Raum, der homophobe Gewalt nicht duldet. Ein jeder Mensch hat ein Anrecht auf psychische und körperliche Unversehrtheit.

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Von Menschen und solchen, die es werden wollen /von-menschen-und-solchen-die-es-werden-wollen/ /von-menschen-und-solchen-die-es-werden-wollen/#comments Fri, 04 Nov 2011 06:06:12 +0000 /?p=359 Ich mache Firmenfitness. Die Firma wünscht sich gesunde, vitale Mitarbeiter_innen und fördert die Mitgliedschaft mit satte Euro 30.- und dass ist -zugegeben- schon ein verlockendes Angebot, obwohl ich als Skeptiker dazu neige, einen Haken, eine Absicht, eine Methode dahinter zu vermuten. Euro 30 ist die Firma also meine Gesundheit wert. Nun, es ist ja nicht so, dass ich mich ansonsten auf der Arbeit ausruhe, im Sessel pupse und Taschenbillard spiele oder in meiner freien Zeit, die ich zur Verfügung habe, auf dem Sofa coache, vor dem Computer sitze oder die Spielekonsole daddel, nein, ich fahre viel Rad, bin mit den Hunden vom Tierschutz unterwegs, stehe am Fenster und notiere die Falschparker und anschließend sitze ich vorm PC, pupse ins Sofakissen oder daddel vor der Konsole -kurzum- ich habe zugesehen, dass ich ein ausgeglichenes Verhältnis zu ausreichender Bewegung und Leichenstarre habe. Okay, das mag jetzt etwas krass übertreiben sein und entspricht in etwa dem Wahrheitsgehalt von zu Guttenberg’s Äußerungen in der Plagiatsaffäre, aber -immerhin- ich erkenne selber, wann es notwendig ist, etwas zu tun, was der Allgemeinheit zu Gute kommt. Ohne Zweifel hat der technische Fortschritt zu einer erheblichen Verbesserung der medizinischen Versorgung geführt und dadurch das Leben gewaltig verlängert und die Lebensqualität erhöht. Unsere körperlichen Bedürfnisse haben sich allerdings in wenigen tausend Jahren Zivilisation nicht entscheidend verändert und sind an die Kunstwelt unseres modernen Lebens nicht angepasst. Damit dieser Zwiespalt unsere Gesundheit nicht aus dem Gleichgewicht bringt, tun wir gut daran, mit einem Fuß noch im Reich der Natur stehen zubleiben. Ich möchte aber nochmals daran erinnern, dass ich keineswegs an Bewegungsmangel leide, sondern mit diesen ausführlichen Erörterungen rechtfertige, warum ich eben nun ins Firmenfitness-Programm eingestiegen bin. Doch ich möchte im Folgenden weniger über den Ablauf des strapaziösen Trainings-Programms berichten, und auch nicht darüber, wie ich seitdem meine Bewegungsabläufe im Alltag verbessere und spezifisch anpasse (wie zum Beispiel, wenn ich mich im Nachtdienst mit beiden Armen ausgestreckt an dem Treppengeländer festhalte und die 180 Stufen der 6 Etagen im Wohnheim hochziehe, dabei genauestens darauf achte, gleichzeitig den Po auf und ab bewege. Eine Übung für Fortgeschrittene, zu denen ich mich inzwischen auch zähle, sieht indes folgende Übung vor: Den Po wieder auf und ab bewegen, Allerdings streckt man in der oberen Position ein Bein aus und lässt es ausgestreckt. Bei dem ausgestreckten Bein die Zehen anziehen. Dabei vor allem darauf achten, dass die Hüfte nicht seitlich wegknickt, sondern gerade bleibt. Wenn die Hüfte nach unten geht sollte man einatmen und beim Hochgehen ausatmen. Nach einiger Zeit das ausgestreckte Bein wechseln. Alles klar? Aber Vorsicht: dies ist eine schwere Übung, nicht also gleich nachmachen, nicht, dass ihr mir später vorwirft, ich hätte euch nicht gewarnt, aber mit einem 2-wöchigen Muskelkater, der sich anfühlt wie die Schweinegrippe, müsst ihr in jedem Fall rechnen…und zwar auch, wenn ihr als Anfänger-In bereits die leichte Übung wählt. Weiter im Text).
Nach Beendigung meines Trainings-Programms steht der Wellnessbereich zur freien Verfügung, die Nutzung ist im Firmenangebot inklusive. In “meinem” Fitness-Studio (welches kurioserweise früher mal “Funny Fitness” hieß -als wenn Fitness in irgendeiner Form Spaß bereitet, zumindest habe ich während meiner Mitgliedschaft und während der Trainingsstunde noch nicht einen Menschen gesehen, der gelächelt hat…im Gegenteil, sie schienen mir allesamt ziemlich erschöpft, erschlagen, als hätte sie jemand mit der Peitsche angetrieben…für einige war es mit Sicherheit der eigene Schweinehund) – gibt es  diverse Saunen, die ich mittlerweile sehr gerne besuche, wenn ich ehrlich bin, ist dass oft auch die Motivation, überhaupt erst ins Fitness-Studio zu gehen. Im Saunabereich ist oft nicht viel los, zumindest nicht dann, wenn ich dort anwesend bin, was vordergründig daran liegt, dass ich durch meine Tätigkeit als Nachtwache auch an den freien Tagen Vormittags ins Studio gehe. Ein entscheidender Vorteil, wenn mensch bedenkt, dass sich zu dieser Zeit eher die Rentner_Innen einen abschwitzen und die Muckileute eher am späten Nachmittag im Rudel auflaufen, was eher einer narzisstischen Fleischbeschau gleicht, nee, da gehe ich zum Abgewöhnen doch eher gleich in den Schlachthof und ekel mich vor den abgehängten Schweinehälften.
In der Sauna gibt es spezielle Typen, die sehr unterschiedliche Eigenschaften bloßlegen. Im Folgenden möchte ich euch diese genauer vorstellen:
Zum Einen gibt es den Röchler. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass er nahezu jedem Atemausstoß mit offenen Mund tätigt und dabei röchelt wie Darth Vader in der finalen Sterbensphase.
Des Weiteren gibt es den Primaten, der sich dadurch auszeichnet, ständig mit den Extremitäten über den schweißnassen Körper zu wischen, dabei hustet, prustet, rotzt und in etwa einem Feuchtnasenaffen gleicht, kurz bevor er von seinem Stamm ausgesondert wird.
Darüber hinaus gibt es den Macho, der breitbeinig daliegt, sein Gießkännchen offen zur Schau stellt, als wäre heute Sommerschlussverkauf und alle sind auf Schnäppchenjagd, Dabei legt diese Spezies einen Arm hinter den Kopf und hält die Oberschenkel etwas zur Seite gespreizt, sodass der Blick unmissverständlich auf das männliche Lustzentrum fällt.
Abschließend gibt es den Unscheinbaren, also jenen, der zwar im Raum anwesend ist, den mensch aber gar nicht bemerkt, der ruhig und gleichmäßig atmet und mit dem Dampf des Aufgusses zu verschwinden scheint. Und für alle, die jetzt noch gerne mehr zum Thema wissen wollen, empfehle ich den Online-Artikel “Sauna-Supergau: Eine Erektion!” der sich -wie der Titel vermuten lässt- an die männlichen Saunagänger (Saunisten?) richtet:  http://www.bz-berlin.de/erotik/sauna-supergau-eine-erektion-article674975.html.
Um herauszufinden, zu welchen Typ ich gehöre, müsst ihr mich schon mal selbst in der Sauna antreffen und anschließend beurteilen, die Selbsteinschätzung wird unrühmlich oft gnadenlos übertrieben…

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Anything goes! /anything-goes/ /anything-goes/#comments Fri, 04 Nov 2011 06:05:03 +0000 /?p=357 Was braucht es mehr als drei Akkorde, um das System zu stürzen? Nun, die Selbstermächtigungsstrategien für die Felder der popkulturellen Produktion basieren auf dem Prinzip des Dilettantismus. Diese Qualifikation unterscheidet sich vom Merkmal der Naivität, denn mit der Vorstellung, jedeR kann Musik machen und eine Band gründen, wird dem elitären Kreis der MusikproduzentInnen und Popmusik-PerformerInnen jeglicher Anspruch auf Verherrlichung, Mythifizierung und Kommerzialität genommen. Mit dem Do-it-yourself-Prinzip schlüpft das Publikum in die Rolle der ProduzentInnen. In der Folge entstehen eigene Ideen, die in einer Band, einem Fanzine, einem Label etc. münden, was wiederum zu einer Vernetzung, einem Netzwerk führt, in der die Selbstermächtigungsstrategie es erlaubt, eine kritische Haltung gegenüber den Funktionsgesetzen der Politik und der Ökonomie einzunehmen. Das wiederum führt zu einer veränderten Position des Publikums: Die Handelnden versuchen, die wirtschaftliche Übermacht der Majors zu untergraben, indem sie die musikalische Produktion nicht länger unter das ökonomische Diktat der Gewinnmaximierung stellen und Formen einer Gegenöffentlichkeit entwickeln, die oppositionelle Meinungen und Lebensalternativen ausdrücken. Die Frage ist nun: Ist Musik politisch?  Musik ist niemals reine Form. Sie ist stets Ausdruck existentieller tiefenpolitischer Inhalte, die alles andere als beliebig sind.

Durch das Einmischen im Feld der der popkulturellen Produktion entsteht eine Neuordnung, was also dadurch gelingt und erreicht wird, dass KonsumentInnen gleichzeitig ProduzentInnen sein können und damit den Funktionszusammenhang zwischen Bühne und Publikum verändern.
Das Politische an politischer Musik kann sichauf einer strukturellen Ebene entfalten, über die Art und Weise, wie Musik  und ihr Umfeld organisiert werden. Durch alternative Arbeits-, Auftritts- und Veröffentlichungsstrategien können MusikerInnen als „politisch“ wahrgenommen werden, ohne dies in ihren Songtexten oder medialen Aussagen ständig betonen zu müssen – das Politische bleibt stets über den Rahmen präsent.
Musik verändert die Welt, indem sie unser Verhältnis zur Welt verändert. Und sie macht dies auf eine geheimnisvolle, sprachlich kaum fassbare, eine die Tiefenschichten unseres Ichs beeinflussende Weise. Selbst die schärfste politische Aussage geriet unter den Maßstäben der Musikindustrie zur leicht konsumierbaren Ware, wurde zu einer „fetischisierten, affirmativen Stütze der etablierten Ordnung“. Musik als Warencharakter. Musik ist unbezweifelbar eine mächtige universelle Sprache, die auf der ganzen Welt verstanden wird und die die Menschen emotional tief bewegen kann. Insofern ist sie auch ein hervorragendes Medium politischer Kommunikation. Allerdings schafft sie ihre Inhalte nicht selbst, sondern schöpft sie aus der Welt. Deshalb kann Musik zur Rekrutierung neuer politischer Aktivisten nur dann genutzt werden, wenn der gesellschaftliche Nährboden hierfür vorhanden ist. Nur wenn Form und Inhalt kompatibel sind, wird Musik zu einem wirksamen politischen Kommunikationsmittel.
Musik wird heute nicht mehr entdeckt, es ist ein Wegwerfprodukt, beschränkt auf einen Klingelton oder als Anklick-Appetizer, überall zugänglich und mit den verschiedensten technischen Errungenschaften überall nutzbar. Wenn Musik für die Masse produziert und konsumiert wird, sich also eine breite Schicht bildet, werden kommerzielle Musikproduktion ausgeweitet und künstlich Moden hervorgebracht, die den Konsum und die KonsumentInnen lenken und im Verhalten beeinflussen, was den Profit der Unternehmen maximiert.
Wer das System stürzen will, der kümmert sich lieber um Selbstgemachtes, was ich ausdrücklich zum Nachahmen empfehle. Es geht ums essentielle, nämlich um Musik und Spaß und weniger um Industrie und Profit. Um den vielfältigen Dimensionen politischer Musik gerecht zu werden, ist es hilfreich, sich Musik als ein ganzes System vorzustellen, das von der musikalischen Produktion über Vertrieb und mediale Vermittlung bis hin zur Rezeption und Interpretation durch die ZuhörerInnen reicht. Auf jeder dieser Ebenen kann Musik mit politischem Gehalt angereichert werden – ein komplexer Prozess, der die Auseinandersetzung mit politischer Musik jedoch umso faszinierender macht.
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Big Brother is watching you! /big-brother-is-watching-you/ /big-brother-is-watching-you/#comments Fri, 04 Nov 2011 06:04:04 +0000 /?p=355 Öffentliche Räume sind auch Orte des sozialen Austausches. Sie dienen nicht nur der Orientierung, der Repräsentanz und der Identifikation der Bürger mit ihrer Stadt, ihrer Gemeinde, sondern sind auch ein Ort der Integration, an dem verschiedene gesellschaftliche Gruppen zusammenkommen.

In den 60er Jahren begannen die Heranwachsenden, sich an öffentlichen Plätzen “zusammenzurotten”. Die Freizeitangebote waren städtisch oder kirchlich organisiert, wenige Haushalte hatten ein TV-Gerät, die Sender strahlten aber auch erst am Nachmittag oder am Abend aus bzw. bedarf die Nutzung einer Genehmigung durch die Eltern. Der Marktplatz, die Cafés, die Dorfgasthöfe wurden aufgesucht. Der öffentliche Raum stand unter verschärfter Beobachtung. Jugendliche, die sich in der Öffentlichkeit trafen, wurden argwöhnisch von vorbeiziehenden PassantInnen, ArbeiterInnen begutachtet und manchmal sogar angepöbelt. Jemand, der/die sich in der Öffentlichkeit aufhält und keinen ersichtlichen Nutzen und Beitrag für die Allgemeinheit leistet, verschwendet seine Zeit, glaubt die Mehrheit der Bevölkerung. Die Gammler zogen Mitte der 60er Jahre mit ihrem Aussehen und Auftreten in der Öffentlichkeit die Empörung und das Unverständnis vieler BürgerInnen auf sich. Nach einer Befragung hatten 73% der BürgerInnen kein Verständnis für die Gammler. Die Gammler stellten die Grundfesten der Gesellschaft in Frage. 56% wollten wieder einen Arbeitsdienst einführen. Gammler hörten damals, im übrigen in Ost und West, solche Sprüche wie: „Unter Hitler hätten sie euch vergast. ”
Stigmatisiert durch die konservative Werte-Welt wurde das Gammeln im öffentlichen Raum zur Gegenkultur, zu einem neuen Lebensstil. Statt entfremdeter Lohnarbeit das Recht auf Faulheit, statt Karriere der Ausstieg, statt Konsum der Konsumverzicht. Mit ihrer Haltung waren sie „lebender Protest“. Sie stellten ihren Müßiggang im öffentlichen Raum zur Schau.
Der öffentliche Raum ist auch immer ein Spiegel der Gesellschaft und sagt etwas über unseren gegenseitigen Umgang – hier sind wir nicht “Allein”, können nicht selbst entscheiden, was wir sehen wollen, tun dürfen, passieren kann, sondern teilen uns diesen Raum und diese Entscheidungen mit den anderen und dürfen oder müssen auch aushalten, dass wir an diesen Orten selber öffentlich sind. Von daher bleibt der öffentliche Raum stets Gegenstand der “öffentlichen Meinung”, ein Ort des Begegnens, des Austausches und des Widerspruchs zwischen verschiedenen Ansprüchen. Folglich regulieren wir den öffentlichen Raum mit unserem Verhalten und bewerten Handlungsmuster. Die gegenwärtigen Klagen von BürgerInnen über die “Unordnung” im öffentlichen Raum sind Ausdruck dieser Situation. Der Ruf nach repressiven Interventionen der Polizei gegen auffällige Personengruppen im Straßenraum, gegen Alkohol- und Drogenmissbrauch, gegen aggressive Bettelei, gegen Graffitimalereien an Hauswänden und gegen Vandalismus führt zu einem Politikum: der öffentliche Raum muss überwacht werden, bevor das öffentliche Leben verfällt. Der Mensch darf im öffentlichen Raum passieren, sich von einem Ort zum nächsten bewegen. Er muss funktionieren und einen bestimmten Zweck erfüllen.  Bei der Durchquerung des öffentlichen Raumes  in Fahrzeugen löst er sich in eine diffuse Neutralität auf (Sennett 1995, 456).
Dies blieb nicht ohne Folgen auf die Raumorganisation der Öffentlichkeit. In der Charta von Athen wird die Wohnung zum Zentrum der Stadt (Le Corbusier 1957, 108 f.). Der öffentliche Raum kommt begrifflich nicht vor, wird den Funktionen Wohnen, Freizeit, Arbeiten und Verkehr als Ausstattungs- und Wegemerkmal subsumiert.
Mit der Funktionentrennung zerfiel das öffentliche Verhalten in funktionsgeprägte Muster: Sie lassen sich grob beschreiben als
  • anonyme Geschäftigkeit in Innenstädten,
  • zeitliche Gebundenheit im Umfeld von Arbeitsstandorten,
  • lockere Entspanntheit an Erlebnisorten der Freizeit und
  • distanzierte Bekanntheit in den Wohnquartieren.

Im September 1998 beschloss der Rat der Landeshauptstadt Hannover das «Sicherheitskonzept Hannover» als erstes Arbeitsergebnis des Kommunalen Kriminalpräventionsrates (1998). Im Hinblick auf die Verhaltensregulierung in den urbanen öffentlichen Räumen beinhaltet das Sicherheitskonzept zwei  Dimensionen, die als Interaktionsstrategie und als raumstrukturierende Strategie bezeichnet werden können. Im Klartext: Mehr Sicherheitskräfte im Einsatz, um den Kontakt zwischen Ordnungskräfte und “störenden” Personengruppen zu gestalten, Problemzonen identifzieren und Durchführung von baulichen Maßnahmen, um die “informelle soziale Kontrolle” zu verbessern. Hannover war zudem im Jahr 1976 die erste deutsche Stadt, in der dauerhaft Videoüberwachung betrieben wurde. Es wurden 25 ferngesteuerte, schwenkbare, stationäre Zoom-Kameras eingesetzt. Im Jahre 2010 sind hier 42 Polizeikameras im Einsatz.
Dabei verstoßen mehr als 99 Prozent der in Niedersachsen angebrachten Überwachungskameras gegen Datenschutzbestimmungen, das hatte der Landesdatenschutzbeauftragte Joachim Wahlbrink Mitte April verkündet. Von 3.345 von ihm überprüften Kameras seien nur 23 korrekt betrieben worden.
Trotz des rasanten Zuwachses an staatlich betriebenen Kameras sei das Bewusstsein für Risiken und Gefahren einer Videoüberwachung bei den öffentlichen Stellen “völlig unterentwickelt”, klagt Wahlbrink, der das Ergebnis seiner Studie als “überraschend und niederschmetternd bewertet”. Kopfzerbrechen bereitet dem Datenschutzbeauftragten die “Ignoranz vieler Behörden” gegenüber seiner Kritik. Sie belege, “dass es gar kein Unrechtsbewusstsein gibt”. Schlimmer noch ist derzeit die Kampagne von GOOGLE, die unter dem “Service” StreetView auf Straßenansichts- und Entdeckungstour sind.
Doch es gibt ihn noch, den  Protest, den Widerstand gegen städtische/polizeiliche Strategien. In einer Pressemeldung der Polizei Oldenburg vom 26.03. heißt es: “In der Nacht von Donnerstag auf Freitag beschädigte ein bislang unbekannter Täter einen an der Wichernstraße geparkten Kamerawagen, welcher von einer für das Internet tätigen Gesellschaft zur bildlichen Dokumentierung von Straßenzügen eingesetzt wird. Es wurden die Verbindungskabel zwischen der auf dem Dach montierten Bildaufnahmeanlage und dem Fahrzeuginnenraum durchtrennt...”
Aber GOOGLE kann noch mehr: Der Internetkonzern erfasst nicht nur sämtliche Gebäude, sondern – wie wohl noch weitere Firmen und Institutionen – auch systematisch sämtliche WLAN-Netze in Deutschland. Ein Vertreter des Konzerns habe eingeräumt, dass in Deutschland alle für den Internetdienst von »Google Street View« im Einsatz befindlichen Fahrzeuge mit technischen Geräten zur Kartografierung von WLAN-Netzen ausgerüstet seien. Neben dem Verschlüsselungsstatus der Geräte und einer eindeutigen Seriennummer (MAC-Adresse) werde auch der von dem bzw. der NutzerIn vergebene Name der Funkstation (SSID) gespeichert.
Der urbane Raum muss geschützt bleiben. Soviel ist sicher!!!

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Anders sein? Gleich sein! /anders-sein-gleich-sein/ /anders-sein-gleich-sein/#comments Fri, 04 Nov 2011 06:01:58 +0000 /?p=353 Jeder Mensch hat Vorurteile und Stereotypen über verschiedene soziale Gruppen; diese sind oft tief in der Gesellschaft verankert und werden somit von einer relativ großen Gruppe von Menschen geteilt. Vorurteile und Stereotypen bilden sich sehr schnell, doch im Gegensatz dazu ist es sehr schwer, diese wieder abzubauen. Sie erfüllen bestimmte Funktionen, sie dienen beispielsweise als Orientierungshilfe und verleihen dem Individuum in unbekannten Situationen Verhaltenssicherheit. Durch die Ein- und Ausgrenzung von Personen werden Gruppen gebildet, hierbei sind Vorurteile und Stereotypen dem Individuum behilflich. Weiterhin bilden, sichern und legitimieren Vorurteile die Machtverhältnisse innerhalb einer Gesellschaft und erfüllen somit eine weitere Funktion.
Im Rahmen des psychodynamischen Ansatzes werden die Gründe für die Entwicklung von Stereotypen und Vorurteilen im Wesen des Menschen gesucht. Nach diesem Ansatz entstehen feindselige Einstellungen gegenüber Fremdgruppen aufgrund von innerpsychischen Konflikten und Fehlentwicklungen der Persönlichkeitsstruktur. Andere Faktoren wie kulturelle Bedingungen, soziale Normen und Erlebnisse in der Kindheit beeinflussen zwar die Entwicklung von Vorurteilen. Letztlich kommt es aber bei dem einzelnen Menschen darauf an, wie er diese Einflüsse zusammen mit seinen unbewussten Konflikten und seinen psychodynamischen Reaktionen in seinen gesamten Lebensstil zusammenfügt (Bsp.: Sündenbocktheorie).
Oft genug ist der Wunsch nach dem “Anders sein” konträr mit der Flucht vor Normen, Werten, kurz: der Normalität. Wer aber ständig zu hören bekommt, anders zu sein, bekommt das gesellschaftliche, soziale Stigma verpasst, ohne es zu wollen und wird fremddefiniert. Mit diesem sozialen Status fertig zu werden, erleben täglich Menschen die Intoleranz: das Nicht-Tolerieren und Nicht-respektieren anderer Menschen. Die mangelnde Akzeptanz des Anders-sein anderer Menschen steht im Zusammenhang was als “normal” angesehen wird.
Je mehr Mensch davon abweicht, desto mehr wird er/sie von anderen als anders empfunden. Wir fangen an, zu vergleichen, nach unterschiedlichen und gleichen äußeren Merkmalen zu suchen und kategorisieren, vorverurteilen wo wir nur können. Wir lästern, werten ab und auf und fühlen uns frei von Schuld und Unrechtsmoral, denn schließlich ist “Anders sein” doch normal!
Intoleranz kann sich auf das äußere Erscheinungsbild (Hautfarbe, Kleidung, Behinderung), die Religion, Herkunft, persönliche Meinung, sexuelle Ausrichtung beziehen. Sie kann viele Formen annehmen: Rassismus, Nationalismus, Diskriminierung als Folge der Intoleranz. Im Dritten reich und in Nazideutschland wurden Minderheiten verfolgt und ermordet. Und heute gilt das Anders-Sein zumindest für mich als negatives Synonym für Ausgrenzung und Diskriminieren. Früher wollte ich auch anders sein, mich bewusst von Gesellschaft und gesellschaftlichen Normen abgrenzen. Heute will ich Gleich-Sein und fordere das Recht auf Gleich-Sein. Und damit meine ich nicht Anpassung, sondern die Wertschätzung gegenüber dem Individuum, dem ich Respekt und Toleranz entgegenbringe. Dieses Selbstverständnis setzt Akzeptanz voraus, Menschen aufgrund ihres Alters, ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihrer Sexualität, ihrer Behinderung oder wegen ihrer Religion nicht zu benachteiligen.
Ernst genommen zu werden, ist bereits ein elementares Anliegen all unserer Kinder, damit sie die Chance haben, sich mit einem starken Rückgrat zu entwickeln.
Hält mensch sich das vor Augen, stellt sich die Frage:
Wie sollen sich Menschen, deren Rückgrat zerbrochen ist, je wieder entfalten können, wenn es – auch – der gesellschaftliche Konflikt erschwert, dass sie sich, so, wie sie sind, (erneut) aufrichten können?

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Glück auf! /gluck-auf/ /gluck-auf/#comments Fri, 04 Nov 2011 06:01:02 +0000 /?p=351 Wir leben in einer Zeit, in der uns Produkte und Dienstleistungen angeboten werden, die drauf abzielen, Zeit einzusparen. So gibt es beispielsweise Mikrowellengerichte, sogar ganze Menüs, die in Nullkommanix fertig sind und besonders bei den Kleinen Begeisterung auslösen, wenn sie sabbernd vor der Mikrowelle stehen und auf den sich drehenden Teller starren, als würden hypnotische Strahlen das Hirn aufweichen. Gut, später ist dasselbe Phänomen bei den Heranwachsenden zu beobachten, wie sie im Club “Zur feuchten Grotte” in einer Kabine auf einen Drehteller starren, auf der sich Jacqueline unbekleidet räkelt, posiert und gestikuliert. Und auch hier geht es um Zeit, verdichtet sich sich das kleine runde Guckloch, wenn kein Geld nachgeschmissen wird. Doch egal ob Mikrowellengerichte oder Jacqueline, irgendwann sind die Zeiteinheiten abgelaufen und wir stehen hilflos da und wissen nichts mit uns und der eingesparten Zeit anzufangen. Die Selbstmordrate steigt, Menschen laufen Amok, zeigen selbst-verletzendes Verhalten und kauen an Fingernägel oder gehen in die Malls und in die Kneipe, um sich mit einem Rausch weg zu beamen auf eine Insel ohne Probleme, ohne Mikrowellengerichte, aber mit Jacqueline.
Des Weiteren gibt es Dienstleistungen, die uns den Alltag erleichtern und helfen, Zeit einzusparen. Ob Kaffee, belegte Brötchen, Sex, Internet,…alles zum Mitnehmen, to go, Flatrate inklusive. Ich frage mich, ist der Mensch bei all der Zeitersparnis zufriedener und glücklicher?
In Zeiten der Leistungsgesellschaft und der Effektivitätssteigerung zur allgemeinen Einsparung kommt Sex nicht um eine Rechtfertigung und Bewertung seiner Dienste und Leistungen herum. Beck beschreibt subjektives Wohlbefinden als eine ,,im individuellen Erleben realisierte Kategorie; es stellt eine affektive Bilanz von Emotionen und eine kognitive Bewertung der Bedürfnisbefriedigung und damit der alltäglichen Erfahrungen dar.” Innere Ressourcen sind Produzenten des Wohlbefindens.
Frauen, die sexuell zufrieden sind, sind auch glücklicher, unabhängig von ihrem Alter, wie eine neue Studie nahe legt. Es ist jedoch nicht klar, welch andere Ursachen hierfür noch ausschlaggebend sind. Du magst jetzt denken “Klar, besserer Sex macht bessere Laune”. Aber in der Wissenschaft ist Denken eine Annahme, die es zu überprüfen gilt.
Bei der Beschreibung von positivem Wohlbefinden werden die Begriffe ,,Zufriedenheit” und ,,Glück” vorrangig verwendet. Während ,,Zufriedensein” eine eher kognitive Bewertung darstellt, beschreibt ,,Glück” einen affektiven Zustand.
Noch vor nicht so langer Zeit jedenfalls hätte es jeder vernünftig denkende Menschen als Schnapsidee empfunden, dem Glück durch eine Wie-geht-es-dir-Wissenschaft auf die Spur zu kommen. 2000 Jahre lang nämlich waren für Fragen des Glücks nicht Meinungsforscher, sondern Philosophen zuständig. Und die nutzten ihr Monopol, um für den eigenen Lebensstil Werbung zu machen. Aristoteles (384-322 v. Chr.) zum Beispiel pries die meditative Versenkung in theoretische Betrachtungen als höchste Form des Glücks. Ein anderer, Epiktet (50-138 n. Chr.), empfahl “Verachtung all dessen, was nicht in unserer Macht steht”. An Macht und Reichtum solle der Philosoph ebenso wenig sein Herz hängen wie an Weib und Kind.
Wenn es nicht gelingt, ein Leben im Einklang mit grundlegenden emotionalen Bedürfnissen zu führen, wenn diese Bedürfnisse gar unklar sind oder nicht geäußert werden können, dann entstehen Depression und Lethargie auf der einen, hilflose Erregtheit und Aggressivität auf der anderen Seite. Wie am Beispiel von Mikrowellengerichte und Jacqueline auf dem Drehteller sind Liebe und Sex sind zwei Gegensätze. Sie sind im Ursprung und in ihrer Natur unterschiedlich und basieren auf entgegensetzen Prinzipien. Sex kann in Bezug auf die Person sehr oberflächlich sein, Liebe nicht. Liebe ist immer eine persönliche Beziehung. Dies ist beim Sex nicht immer so. Liebe ist erhöhend, Sex dagegen erniedrigend. Reine Liebe adelt; reiner Sex demoralisiert. Liebe ist erfrischend, Sex entkräftend. Liebe ist selbstlos, Sex ist selbstsüchtig. Liebe ist spirituell, Sex ist rein körperlich. Das Problem ist, dass wir, in unserer Verliebtheit, dazu neigen, Liebe und Sex miteinander zu verwechseln. Aus diesem Grund gehen die Einen in den Supermarkt und kaufen Mikrowellenfertiggerichte (oder -menüs), während die Anderen in den Club gehen, um Jacqueline anzustarren.
Glücklich sein ist eben ein rein subjektives Empfinden.

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Es ist nicht alles Gold was glänzt! /es-ist-nicht-alles-gold-wsa-glanzt/ /es-ist-nicht-alles-gold-wsa-glanzt/#comments Fri, 04 Nov 2011 05:59:30 +0000 /?p=348 Nicht alles, was auf den ersten Blick wertvoll scheint, ist es auch. In Zeiten der herbeigeredeten und -geführten (Wirtschafts-)Krise setzen die Unternehmen auf den Fortbestand der Marktbeziehungen. Unternehmen werden weiter Produkte und Dienstleistungen anbieten und KundInnen diese erwerben – vielleicht nicht sofort, vielleicht nicht aus bloßer Bedürfnisbefriedigung und vielleicht nicht zu jeglichen Konditionen. Vertrauen wird eben erworben, nicht verschenkt. Und wer bitte schön, hat heute schon noch was zu verschenken? Jake DeSantis vielleicht, der als Manager der US-Versicherer AIG seine Bonuszahlungen in Höhe von 742 000 Dollar für wohltätige Zwecke spenden wird. EinE HARTZ IV-EmpfängerIn darf das nicht. Bei der Antragstellung muss “überschüssiges” Geld investiert (Möbel, Computer…), nicht aber verschleudert oder verschenkt werden. Diese Zielgruppe steht aber auch nicht auf dem Planungskonzept der Unternehmen. Unternehmen, die ihre Kunden richtig verstehen, setzen auf den Erfolg des Ethos „Service”, der sich nicht nur in Idealen, Prinzipien und der Philosophie ausdrückt, sondern nachhaltig die eigenen Entscheidungen und das Verhalten prägt (Lösungsgestaltung).
Der/die Kunde/Kundin ist König? Quatsch! Er/Sie wird einfach nur aufgefordert, sein/ihr Geld auszugeben. Und wenn mensch das nicht tut, wird an die Gefühlswelt appelliert. Für ihre neuste Studie haben Vertreter des deutschen Trendbüros und der Online-Plattform Slogans.de 5196 neu eingeführte Werbe-Claims untersucht. Das Ergebnis ist die Erkenntnis, dass die Markenartikelhersteller ihre Werbesprache in Krisenzeiten branchenübergreifend auf die Vermittlung von Gemeinschaftsgefühl, Hochwertigkeit, Leistungsstärke und Optimismus ausrichten. Demzufolge setzt sich derzeit das «Wir» als Erfolgsprinzip in der Slogan-Sprache durch. Wörter wie «Gemeinsam» haben 2008 im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zugenommen. Auch die englische Sprache hält wieder vermehrt Einzug in den Werbejargon: Das Wort «We» rangiert in diesem Jahr erstmals unter den 15 meistverwendeten Begriffen in deutschen Claims. In der Vorbildfunktion dieser Kampagne dient Barack Obama, der mit “Yes, we can” den “Aufschwung” herbeiredet, als wäre alles möglich. Und wenn das nicht hilft, ist da immer noch der Glaube, der schließlich Berge versetzen kann oder in der eigenen Not weiterhilft, selbst wenn mensch dafür gar nicht verantwortlich ist. Dafür gibt es ja den Past. Angesichts von Leid, Krise, Krieg und Terror setzt Papst Benedikt XVI auf die Hoffnung, die der Glaube vermittelt. Dass die Hoffnung nicht erst zuletzt stirbt, wissen seit der Afrikareise des Papstes auch die HIV-PatientInnen: Kondome verschlimmern AIDS. Heilbar ist allenfalls die Religion. Und wer dem Übel an die Wurzel will, muss sich extra zusätzlich versichern, in eine Sekte oder Religionsgemeinschaft eintreten, PolitikerIn oder Fußballtrainer werden…oder bleibt einfach zu Hause.
Wirtschaftlich schwierige Zeiten führen schließlich auch insgesamt zu einem Zusammenrücken der Menschen im inneren Familien- und Freundeskreis, zumindest aber steigt die Sehnsucht nach dieser “sozialen Gemütlichkeit”.
Wenn durch eine weltweite Finanz- und Wirtschaftkrise an allen Ecken und Enden des eigenen beruflich-ökonomischen Umfeldes das Vertrauen schwindet, sucht der Mensch eben wieder die Nähe und ggf. den Schutz seiner “wahren Vertrauten” und soziale Werte außerhalb neoliberaler Markt- und Konsumgläubigkeit erhalten neues Gewicht.
Eine vertrauensvolle Basis ganz ohne Erfolgsprinzipien und gewinnorientierten Konzepten ist die häusliche Gemütlichkeit oder modern “Cocooning”.
Es mag “nur” eine partielle Trendbeobachtung in bestimmten westlichen Kulturkreisen sein, die harten wissenschaftlichen Erhebungen in der Soziologie noch nicht standhalten kann, aber zumindest trägt die aktuelle weltweite Finanzkrise alleine schon aus ökonomischen Vernunftserwägungen erneut zu dieser Entwicklung in vielen Haushalten, Familien und sozialen Gruppen bei.
Dabei stellen sich Menschen (ohne außerordentliche Finanzmittel) natürlich die konkrete Frage: Wie und wo kann ich jetzt sparen? In der Regel werden dann von den gleichen Leuten, die in wirtschaftlichen Hoch-Zeiten noch bekennende Konsum-Junkies waren, Antworten gegeben, die sich sogleich in eine Art “Cocooning-Sprech” verwandeln:
“Essen von Gestern ist adelig!”
“Das letzte Hemd hat keine Taschen!”
“Wer von der Hand in den Mund lebt, muss kein Zahnarzt sein!”
Notwendigerweise wird es sich also zu Hause “schön” gemacht, manchmal auch einfach nur schön geredet. Warum bleibt der Papst nicht einfach mal zu Hause, lässt alle Fünfe gerade sein und spart sich die geistlichen Ergüsse?! Weil ER die Menschheit beschenken will. Das macht ihn aber nicht so wertvoll wie ein Vorstandsvorsitzender, der freiwillig auf Bonuszahlungen verzichtet. Denn dieser hat im Gegensatz zum Papst von selbst gekündigt!

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Ausverkauf der Dinge /ausverkauf-der-dinge/ /ausverkauf-der-dinge/#comments Fri, 04 Nov 2011 05:58:18 +0000 /?p=346 “Alles muss raus. Kommen Sie, kaufen Sie!” Der Manager einer Bank hat seinen besten Anzug angezogen und steht solariumgebräunt hinterm Tresen seines Standes auf dem Wochenmarkt. Eitel und selbstbewusst steht er da, breitet die Arme aus, öffnet die Hände, in denen er Papiere hält. Vor dem Stand stehen drei Männer, die ihm zuhören, aber nicht beabsichtigen, auf sein verlockendes Angebot einzugehen. Der Manager schwitzt, seine Haare sind fettig und ungekämmt. Ich frage den Mann neben mir, was er denn da verkaufe. “Amerikanische Staatsanleihen!” flüstert er mir hinter vorgehaltener Hand zu. “Greifen Sie zu” brüllt der Manager. “Ein Bärenmarkt für Staatsanleihen ist möglich. Er könnte 10 bis 20 Jahre anhalten” versucht er die Klientel zu überzeugen. Er fuchtelt mit den Papieren, hält diese hoch, als seien sie der letzte Beweis in einer Verschwörungstheorie. Plötzlich drängelt sich ungestüm, aber zielstrebig, eine ältere Dame mit einem Regenschirm ausgestattet, an mir vorbei nach vorne und beschimpft den Manager: “Dieb, elender. Alles habe ich verloren!” Sie erhebt den Schirm und fuchtelt damit gefährlich nahe in Kopfnähe des Managers, der seine Hände schützend erhebt und in Deckung geht.

Dann geht alles blitzschnell. Angesteckt von der entschlossenen Haltung der Frau, stürzt sich ein Mob von 5 wild entschlossenen Menschen -Männer und Frauen- auf den Manager, der zu Boden fällt. Das letzte, was ich im Weitergehen noch von ihm wahrnehme, ist die Äußerung: “Rettet meine Renditen!” Später erfahre ich aus der Heimatzeitung “Manager erstickt an eigenen Wertpapieren”.
“Na, hoffentlich platzt die Bondblase bald” denke ich bei mir und frage mich zweifelnd, ob der sichere Hafen denn noch sicher ist. Am Stand nebenan stehen zwei Frauen, Politikerinnen aus der Regierungskoalition. Sie scheinen etwas zu verschenken. Ich frage nach. “Ja, es gibt für JedeN ein Konjunkturpaket gratis” erfahre ich. Hoppla, da reihe ich mich mal schnell ein, ohne genau zu wissen, was im Paket enthalten ist. “Sinkende Krankenkassenbeiträge, angehobener Grundfreibetrag, Kindergeldbonus” scheint die Frau neben mir meine Gedanken erraten zu haben und klärt mich auf. Ich greife zu, ohne genau zu wissen, was ich damit anfangen soll. Die beiden Politikerinnen strahlen und rufen mit einem süffisanten Lächeln: “Es lebe der Konsumrausch!” Die Parole klingt wie eine Drohung. Als ich eine Woche immer noch keinen Rausch habe, werfe ich das Paket in den Müll.
Neben dem Container hockt ein Mann, Drei-Tage-Bart, löchriger Anzug. Der Mann weint und fragt mich schluchzend nach einem Euro. “Geh arbeiten” antworte ich ihm. “Geht nicht, machen Kurzarbeit” schluchzt er und schneuzt in ein gebrauchtes Taschentuch. “Hat der Olaf Schulz angeordnet…Kurzarbeit ist der Gang zum Schafott. Was folgt ist der Strick durch die Kündigung vom Arbeitgeber…aber die folgt erst in 5 Wochen!”
Ich gebe ihm einen Euro und gehe wieder zurück in die Wohnung, als es an der Tür klingelt. Es ist Bischof Williamson und bittet um Verzeihung. “Bin ich Papst?” brülle ich ihm genervt entgegen und verweise auf den Nachbarn. Der ist 92 und hat den Holocaust überlebt. “Der Mord an den Juden solle jedem Mahnung gegen das Vergessen und Leugnen sein” rufe ich ihm hinterher und ergänze: “…das müsste der Papst doch wissen!” und denke im Stillen “Irren ist menschlich, vergeben ist göttlich”. Ich gehe zum Fenster, öffne es und brülle so laut ich kann: “Ich vergebe euch!” Aus der Ferne bellt ein Hund, ich höre einen Stimme aus dem Nachbarhaus: “Ruhe, verdammt, es ist Mittagsruhe”. Ich atme tief ein und wieder aus, mein Blick wandert nach unten. Dort sehe ich den Mann am Container hocken. Er weint immer noch.
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