Die Kriminalisierung von “Armutsflüchtlingen”

   In den Medien ist immer wieder von einer sogenannten Armutswanderung die Rede. Gemeint ist eine Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien, Sinti, Roma; Individuen, die ab 2014 die “ Arbeitnehmerfreizügigkeit “( 1 ) in Anspruch nehmen können. In den letzten Jahren beschäftigen sich Studien mit der Frage, welche Folgen die uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit auf den deutschen Arbeitsmarkt hat. Die Arbeitsagentur warnt vor dem neuen Flüchtlingsstrom, die Entwicklung sei “besorgniserregend”, so der BA-Vorstandsvorsitzende Frank-Jürgen Weise . Der Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich fordert Städte und Gemeinden auf, schärfer gegen Armutsflüchtlinge aus den neuen EU-Staaten vorzugehen und befürchtet einen “Sprengsatz für die europäische Solidarität”. Diese latenten und offenen rassistischen Ressentiments verstärken Vorurteile und Vorbehalte, die in weiten Teilen der Gesellschaft geschürt oder verfestigt werden, entsprechen die “Das-Boot-ist-voll-Mentalität” der rassistischen “Asylkampagne” von CDU/CSU und hysterischen Beiträge der Medien in den 80er Jahren, mit der Konsequenz der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl. In den Jahren 1990 bis 1994 dominierte das Thema »Asyl« die konkreten physischen Angriffe der Neonazis deutlich, die Aktionen richteten sich gezielt gegen Asylbewerber_innen und deren Unterkünfte. Politische “Bedenkenträger” öffneten mit der Asyldebatte gesellschaftliche Vorbehalte und Zuschreibungen, die in Verbindung mit der Entfaltung extrem rechter Gewalt zu “Ausländer-raus”-Rhetorik und Pogromen wie in Rostock-Lichtenhagen führte( 2 ).
Wer nun wie Weise, Friedrich und Beteiligung der Medien von Armutswanderung in Verbindung mit negativen Zuschreibungen wie “besorgniserregend” und Aufforderungen zu Sanktionen und Kontrollen redet, erweckt den Anschein, die “Armutsflüchtlinge” kriminalisieren zu wollen, weil diese casu quo als “arm und kriminell” fremd definiert werden. Menschen, die dem Staat auf die Tasche liegen. Ein leichtfertiges Gleichsetzen der aktuellen Vorbehalte und rassistischen Ressentiments, die an die gefährliche Dynamik der politischen Brandstifter der 90er Jahre erinnert. Wenn Politik und Behörde schon im Vorfeld Angst und Schrecken suggerieren, übertragen sich Vorbehalte und negative Zuschreibungen in der Gesellschaft gegenüber Individuen aus anderen EU-Staaten, aktuell treffen die tradierten antiziganistischen Ressentiments aus Serbien und Mazedonien geflüchteten Familien, Sinti und Roma mit voller Wucht. Indem sogar wie von Friedrich gefordert, gegen sie “schärfer vorgegangen werden muss”, legitimiert das die Vorurteile, neutralisiert offene Anfeindungen und verschlechtert schon jetzt die Lebensbedingungen der Zuwanderer. Die Kommunen befürchten “Fälle von Kriminalität, Bettelei und Prostitution und Problemen in den Nachbarschaften”.

Ausgrenzung hat Tradition
Menschen die gegen Gesetze verstoßen werden abgeschoben. Im Umgang mit Flüchtlingen werden diese von Behörden schikaniert, kriminalisiert und sanktioniert. Es häufen sich Berichte Betroffener, wie sie des Öfteren herabsetzend behandelt werden. Menschen, die in Städten und Gemeinden ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben, von interkulturell trainierten Deeskalationsstrategen gegen ihren Willen abgeschoben und tauchen womöglich noch in Statistiken und amtlichen Berichten als „freiwillig ausgereist“ auf, weil sie sich ohne Hand- und Fußfesseln aus dem Laden schaffen ließen. In Niedersachsen wurden 2012 392 ausreisepflichtige ausländische Staatsangehörige abgeschoben, davon 377 Personen auf dem Luftwege, 12 Personen auf dem Landwege und 3 Personen auf dem Seewege( 3 ).
Schon Alt-Kanzler Schröder propagierte im Wahlkampf Sprüche wie „ Wer das Gastrecht missbraucht, muss raus, aber schnell “ und wollte damit vor allen bei diejenigen punkten, die starke Vorbehalte und Vorurteile gegenüber Flüchtlinge hegen.
Die “Kriminalisierung von Ausländern” hat durchaus Tradition. Seit über 40 Jahren beschäftigt sich die deutsche Öffentlichkeit und die Kriminologie mit der “Ausländerkriminalität”. Die Debatte ist gekennzeichnet von emotionalen, rassistischen Äußerungen, Spekulationen, Vorurteilen und Vorwürfe. Zumeist männliche junge Asylbewerber rückten verstärkt in den Verdacht, einer organisierten kriminellen Bande anzugehören. Politik und Medien, die diesen Verdacht schüren, forcieren neben der Wahrnehmung von “kriminellen Ausländern” umfangreiche Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung und eine Zuwanderungskontrolle bzw. strikte Begrenzung.

Gegen die Kriminalisierung von Flüchtlingen
Immer wieder werden einreisende Flüchtlinge wegen illegaler Einreise bzw. Urkundenfälschung bestraft, weil sie ohne Visum oder Pass, bzw. mit dem falschen Visum oder Pass in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind. Erschreckend ist die Unkenntnis vieler Behörden und Gerichte („Wieso kommt der nicht mit einem Visum aus Afghanistan zum Zwecke Asylantragstellung nach Deutschland…?“). Staatsanwaltschaften und Richter sind oft ahnungslos und fällen Entscheidungen oftmals durch Strafbefehle. Anwälte sind zumeist nicht in das Verfahren involviert. Viele der Verurteilungen nach § 95 AufenthG sind schlichtweg falsch, weil eine Rechtsgrundlage hierfür nicht gegeben ist. Genau wie beim Abschiebehaftrecht fehlt es aber häufig an einer engagierten Verteidigung.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen sind Schikanen und Repressionen gegenüber Flüchtlinge bestens bekannt. So gibt es Beispiele aus der Beratungspraxis, in dem ein afghanischer Flüchtling von der Bundespolizei in Grenznähe festgenommen wird. Die Bundespolizei leitet – wie immer in diesen Fällen – ein Strafverfahren gegen ihn ein. Da der Flüchtling noch keine Meldeadresse in Deutschland hat, wird als Zustellungsbevollmächtigter für die Entgegennahme der Post ein Mitarbeiter der Bundespolizei bestimmt. Der Strafbefehl wird später an diesen Mitarbeiter zugestellt, kann aber angeblich nicht weiter geleitet werden und wird abgeheftet. Der Flüchtling hat mittlerweile die Aufnahmeprozeduren in der Erstaufnahme durchlaufen und wird nach Hildesheim verteilt, wo ihn eines Tages Polizeibeamte festnehmen: Der Flüchtling soll in Ersatzhaft genommen werden, weil die verhängte Strafe nicht bezahlt wurde.
Bei diesen Fallkonstellationen dient das Strafrecht als Instrument zur Erzwingung der Kooperationsbereitschaft von Flüchtlingen zur Ermöglichung einer Abschiebung. Die Ausländerbehörden zeigen diese Menschen – wiederholt – an und hoffen, dass diese unter Zuhilfenahme der Strafverfahren ausreisen oder sich Pässe etc. beschaffen werden. Das ist ein offenkundig fragwürdiges Verwaltungshandeln insofern, als die Strafverfolgung wegen “illegalen Aufenthalts” dem Zweck dienen soll, einen Flüchtling zu zermürben und zur Mitarbeit bei seiner Abschiebung zu bewegen. Das Ausländerstrafrecht wird immer wieder zu verfahrensfremden Zwecken eingesetzt und Staatsanwalt und Gericht lassen sich häufig als verlängerter Arm der Ausländerbehörde instrumentalisieren. Die Ausländerbehörde sanktioniert Flüchtlinge wann immer Abschiebungspapiere nicht vorliegen bzw. nicht von einem Flüchtling beschafft werden können und sieht eine Verantwortlichkeit des Flüchtlings. Eine Entkriminalisierung der Flüchtlinge und ihres Umfelds (Strafverfahren gegen Ehefrauen, Anwälte,…) wäre natürlich wünschenswert. Die Konsequenzen dieser Verurteilungen können schwerwiegend sein und z.B. eine Legalisierung – etwa im Rahmen einer Bleiberechtsregelung – oder Aufenthaltsverfestigung verhindern. Außerdem können Probleme bei der Einbürgerung aus solchen Verfahren resultieren. Wenn immer weniger Handlungen als Kriminalität interpretiert würden, könnten immer mehr soziale Konflikte als sozial gelöst werden. Es ist vor dieser Entwicklung nur zu hoffen, dass die antifaschistische Linke endlich die antifaschistische Politik mit einer antirassistischen Praxis verbindet.

Anmerkungen
(1) Die Freizügigkeit ist eines der Grundrechte der EU-Bürger und besteht darin, dass sich jeder Angehörige eines EU-Staates in einem anderen Mitgliedstaat zur Arbeitsaufnahme- und Ausübung niederlassen darf. Damit sollen Ungleichbehandlungen aufgrund der nationalen Herkunft entgegengetreten werden.
(2) eine ausführliche Analyse ist in dieser pdf-Datei gebündelt: 20 Jahre Rostock-Lichtenhagen-Kontext, Dimensionen und die Folgen der rassistischen Gewalt: http://www.wiwi.uni-rostock.de/fileadmin/Institute/IPV/Informationen/Publikationsreihe/IPV-Reihe32.pdf
(3) http://www.mi.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=14797&article_id=110435&_psmand=33