Ausverkauf der Dinge

“Alles muss raus. Kommen Sie, kaufen Sie!” Der Manager einer Bank hat seinen besten Anzug angezogen und steht solariumgebräunt hinterm Tresen seines Standes auf dem Wochenmarkt. Eitel und selbstbewusst steht er da, breitet die Arme aus, öffnet die Hände, in denen er Papiere hält. Vor dem Stand stehen drei Männer, die ihm zuhören, aber nicht beabsichtigen, auf sein verlockendes Angebot einzugehen. Der Manager schwitzt, seine Haare sind fettig und ungekämmt. Ich frage den Mann neben mir, was er denn da verkaufe. “Amerikanische Staatsanleihen!” flüstert er mir hinter vorgehaltener Hand zu. “Greifen Sie zu” brüllt der Manager. “Ein Bärenmarkt für Staatsanleihen ist möglich. Er könnte 10 bis 20 Jahre anhalten” versucht er die Klientel zu überzeugen. Er fuchtelt mit den Papieren, hält diese hoch, als seien sie der letzte Beweis in einer Verschwörungstheorie. Plötzlich drängelt sich ungestüm, aber zielstrebig, eine ältere Dame mit einem Regenschirm ausgestattet, an mir vorbei nach vorne und beschimpft den Manager: “Dieb, elender. Alles habe ich verloren!” Sie erhebt den Schirm und fuchtelt damit gefährlich nahe in Kopfnähe des Managers, der seine Hände schützend erhebt und in Deckung geht.

Dann geht alles blitzschnell. Angesteckt von der entschlossenen Haltung der Frau, stürzt sich ein Mob von 5 wild entschlossenen Menschen -Männer und Frauen- auf den Manager, der zu Boden fällt. Das letzte, was ich im Weitergehen noch von ihm wahrnehme, ist die Äußerung: “Rettet meine Renditen!” Später erfahre ich aus der Heimatzeitung “Manager erstickt an eigenen Wertpapieren”.
“Na, hoffentlich platzt die Bondblase bald” denke ich bei mir und frage mich zweifelnd, ob der sichere Hafen denn noch sicher ist. Am Stand nebenan stehen zwei Frauen, Politikerinnen aus der Regierungskoalition. Sie scheinen etwas zu verschenken. Ich frage nach. “Ja, es gibt für JedeN ein Konjunkturpaket gratis” erfahre ich. Hoppla, da reihe ich mich mal schnell ein, ohne genau zu wissen, was im Paket enthalten ist. “Sinkende Krankenkassenbeiträge, angehobener Grundfreibetrag, Kindergeldbonus” scheint die Frau neben mir meine Gedanken erraten zu haben und klärt mich auf. Ich greife zu, ohne genau zu wissen, was ich damit anfangen soll. Die beiden Politikerinnen strahlen und rufen mit einem süffisanten Lächeln: “Es lebe der Konsumrausch!” Die Parole klingt wie eine Drohung. Als ich eine Woche immer noch keinen Rausch habe, werfe ich das Paket in den Müll.
Neben dem Container hockt ein Mann, Drei-Tage-Bart, löchriger Anzug. Der Mann weint und fragt mich schluchzend nach einem Euro. “Geh arbeiten” antworte ich ihm. “Geht nicht, machen Kurzarbeit” schluchzt er und schneuzt in ein gebrauchtes Taschentuch. “Hat der Olaf Schulz angeordnet…Kurzarbeit ist der Gang zum Schafott. Was folgt ist der Strick durch die Kündigung vom Arbeitgeber…aber die folgt erst in 5 Wochen!”
Ich gebe ihm einen Euro und gehe wieder zurück in die Wohnung, als es an der Tür klingelt. Es ist Bischof Williamson und bittet um Verzeihung. “Bin ich Papst?” brülle ich ihm genervt entgegen und verweise auf den Nachbarn. Der ist 92 und hat den Holocaust überlebt. “Der Mord an den Juden solle jedem Mahnung gegen das Vergessen und Leugnen sein” rufe ich ihm hinterher und ergänze: “…das müsste der Papst doch wissen!” und denke im Stillen “Irren ist menschlich, vergeben ist göttlich”. Ich gehe zum Fenster, öffne es und brülle so laut ich kann: “Ich vergebe euch!” Aus der Ferne bellt ein Hund, ich höre einen Stimme aus dem Nachbarhaus: “Ruhe, verdammt, es ist Mittagsruhe”. Ich atme tief ein und wieder aus, mein Blick wandert nach unten. Dort sehe ich den Mann am Container hocken. Er weint immer noch.